San Giuseppe Jato
Die Mafia verliert an Macht
Die Ländereien der Paten werden ans Volk verteilt. Eine Chance für die jungen Arbeitslosen Siziliens
Nach San Giuseppe Jato fährt man nicht einfach so. Zu klein, zu hässlich, zu abgelegen. Ein Straßendorf mit unverputzten Häusern, einer Kirche, ein paar Bars, vor denen auf Plastikstühlen lauter alte Männer sitzen, auf ihren Köpfen das Produkt der einzigen Firma am Ort: eine Schirmmütze, die coppola. In diesem Herbst ist die coppola schwer in Mode, auf dem Flughafen von Palermo wird sie in einer eigenen Boutique verkauft, an Touristinnen aus dem Norden. In San Giuseppe Jato tragen sie die Hirten, die ihre Rinderherden auf die Weiden unter den schroffen, kahlen Hügeln treiben.
Palermo ist eine halbe Stunde Autofahrt entfernt und doch eine andere Welt. Hier, hinter den Bergen, wo Italien, wo Europa zu Ende ist, lebt man für sich, und es gelten andere Gesetze. Das Wort coppola ist mit cupola verwandt – und Letzteres bezeichnet die »Regierung« der Mafia.
Doch welche Macht hat die Mafia noch?
Ende Juli habe eines seiner Weizenfelder gebrannt, sagt Gianluca Faraone. »Solche Dinge passieren. Es könnte auch ein Zufall sein.« Faraone zieht die Luft ein. »Aber es war wohl keiner.« Das Feld brannte am Todestag des Richters Paolo Borsellino, der 1992 bei einem Mafia-Attentat ums Leben gekommen war. So waren die Flammen auch ein Zeichen dafür, dass die Mafia ihre Macht so leicht nicht hergeben will. Dass sie auch im Italien des Jahres 2004 noch Einfluss auf dem Land sucht. Und dass sie sieht, dass genau dieser Einfluss schwindet.
Als das Feld brannte, feierten Faraone und seine Kooperative Placido Rizzotto gerade ein Fest an einem symbolischen Ort. Genauer: in einem Versteck des Mafia-Paten Giovanni Brusca.
Brusca, das ist einer dieser Namen, der Italien noch heute erschauern lässt. Ein mammasantissima, ein furchtbarer Mafioso. Brusca drückte 1992 den Knopf für die Dynamitzündung beim Anschlag auf den Richter Giovanni Falcone, und er verwandelte die Autobahn vor Palermo mit 350 Kilo Sprengstoff in eine wüste Kraterlandschaft. Falcone, seine Frau und drei Leibwächter starben, es war der Auftakt zu einer Serie von Morden und Attentaten, mit denen die alte Mafia endgültig zur terroristischen Vereinigung mutierte, die mit dem Staat nicht länger Kooperation suchte, sondern Krieg. Auch bei dem Mord an Borsellino war Brusca mit von der Partie.
Brusca pflegte seine Feinde in Salzsäure aufzulösen. Er herrschte in San Giuseppe Jato. Jahrelang wurde der Ort von Soldaten des Heeres kontrolliert, als handele es sich um eine Besatzungszone. 17 Bruscas stehen noch heute im Telefonbuch, aber der Clanchef Giovanni ist inzwischen hinter Gittern zum Kronzeugen konvertiert. Seine Felder werden von Gianluca Faraone und seinen Kollegen bestellt, aus einem seiner Häuser haben sie einen agriturismo gemacht, eine Herberge mit drei Zimmern, Stahlküche und großer Diele. Gefördert mit EU-Mitteln.
Seit fast drei Jahren existiert die Cooperativa Placido Rizzotto. Nach und nach hat der italienische Staat ihr 220 Hektar Land anvertraut. Mafia-Land, das einmal den Bruscas, den Riinas, den Genoveses und anderen Familien der Cosa Nostra gehörte.
Seit 1996 existiert ein Gesetz, das dem Staat die Beschlagnahmung von Mafia-Vermögen erlaubt. Seither wechselten in Sizilien, Kampanien, Kalabrien und Apulien zahllose Felder und Wohnungen, Geschäfte und Laggerräume die Besitzer. In der Villa des Paten Rosario Marino Mannoia befindet sich heute ein Mutter-Kind-Heim, in einer Wohnung des Bosses Giovanni Bontate ist die Vereinigung der Organspender untergebracht. In Rom wurde aus einer Mafia-Villa an der Via Appia Antica das Haus der Jazzmusik. Einem Unternehmer aus Palermo, der als »Verwalter« für den Superpaten Totò Riina entlarvt wurde, nahm der Staat zehn Betriebe und 185 Wohnungen ab, der Gesamtwert: 200 Millionen Euro.
Etwa 4000 Mafia-Güter sind vom Staat beschlagnahmt – aber erst die Hälfte wird auch neu genutzt. Die zuständige Behörde in Rom nennt das »administrative Schwierigkeiten«. Politiker vor Ort werden deutlicher: In manchen Wohnpalästen trauten sich die Priester nicht einmal, den Ostersegen zu spenden, sagt der frühere Präsident der Provinz Neapel, Amato Lamberti. »Dort regiert die Camorra.« Neapels Mafia-Organisation verteidigt ihren Besitz mit Zähnen und Klauen.
»Der Camorra-Clan Gionta bewohnt ein Mietshaus, das längst vom Staat konfisziert worden ist«, sagt Lamberti. »Die Behörden wollen dort eine Schule einrichten, ein Jugendzentrum. Aber das wagt keiner! Ich bin einmal hingegangen, gemeinsam mit einem Kameramann vom Fernsehen. Die Bewohner haben uns angegriffen und mir den Arm gebrochen. Die Polizei war dabei, schaute zu und griff nicht ein. Später sagten sie zu mir: Presidente, warum suchen Sie auch immer Ärger?«
Auf den Feldern der Cooperativa Placido Rizzotto wachsen Weizen und Wein, Tomaten und Melonen. Zehn Hektar Korn sind bei dem Brand im Juli verloren gegangen. Die Kooperative wird von jungen Agraringenieuren geführt, der 29-jährige Gianluca Faraone ist ihr Chef. Alle sind Sizilianer, die auf der Insel bleiben wollten, anstatt zu gehen, wie die meisten Akademiker. Gut die Hälfte der unter 35-Jährigen in der Provinz Palermo ist arbeitslos.
»Wir sind geblieben, und wir arbeiten von morgens um fünf bis abends um neun«, sagt Antonio Castro. Tomaten soll er verkaufen, deren Saft eigentlich in Flaschen gefüllt werden sollte. Aber dann platzte der Vertrag mit dem Abfüller. Nun sitzt die Kooperative auf Tomaten, die so reif sind, dass man sie nicht mehr auf die Großmärkte des Nordens karren kann.
Sie bestellen ihre Felder ohne einen Tropfen Wasser, denn Wasser für die Landwirtschaft gibt es nicht in San Giuseppe Jato – obwohl sich genügend Wasserläufe durch die Gegend schlängeln und unterhalb des Ortes der Fluss Jato sogar einen kleinen Stausee bildet. Doch auch auf Siziliens Wasserleitungen, die auf dem Weg zum Verbraucher 40 Prozent des Wassers verlieren, hat die Mafia ihren Daumen. »Der Regen im Frühling muss uns reichen«, sagt Antonio Castro. Die Kooperative produziert nach den Regeln der biologischen Landwirtschaft und hat erst in diesem Jahr eine alte, halb vergessene Melonensorte wieder angebaut, in Zusammenarbeit mit der Slow-Food-Bewegung, die Italiens traditionelle Lebensmittel schützt. Eine kleine Pasta-Fabrik im nahe gelegenen Corleone stellt aus dem Hartweizenmehl der Placido Rizzotto Nudeln her. Seit 1850 gibt es die Fabrik in Corleone, bevor die Kleinstadt zu einem Synonym für die Mafia wurde. »Deshalb ist es so wichtig, dass gerade hier etwas Neues entsteht«, sagt Gianluca Faraone. Die Pasta trägt den Namen Libera Terra, freies Land. weiter>>>Quelle:die Zeit
Söhne und Töchter der Stadt: Giovanni Brusca Anfuehrer der sizilianischen Mafia
Ferienwohnung in Terrasini einige km von San Giuseppe entfernt
Donnerstag, Februar 14, 2008
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14.2.08
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